
Andy Gotts: Auf der Suche nach dem inneren Kind
Aus dem neuen Schnappschuss: "Humor"
Nicht viele können es gut. Und keiner macht es so wie der britische Fotograf Andy Gotts. Stars reisen extra an, um sich von ihm porträtieren zu lassen.
Der Brite Andy Gotts ist einer der gefragtesten Star-Fotografen. Im Interview erzählt er uns, welche Rolle Humor in seinen Porträts spielt: „Seit 32 Jahren fotografiere ich Schauspieler. Wenn man Schauspieler auf den Titelseiten von Hochglanzmagazinen wie Vanity Fair und GQ sieht, sind sie in der Regel auf Hochglanz poliert, gestylt, geschminkt und tragen teure geliehene Kleidung sowie Schmuck. Wenn man ihre Porträts sieht, wirken die Aufnahmen daher sehr statisch, wie Schaufensterpuppen oder Wachsfiguren. In meiner Fotografie lasse ich die Schauspieler sie selbst sein, lasse sie ihre inneren Kinder finden. Vielleicht ist das die Gotts-Version eines 'Urschreis'. Ich erlaube es den Schauspielern, sich kurz zu entladen. Meine Shootings haben zwei Themen: 1) mürrisch und leicht genervt aussehen und 2) albern aussehen. Ich versuche, beide Seiten der Medaille abzudecken.“

Damals bei seiner ersten Aufnahme von Stephen Fry bekam Andy nur ein Fenster von 90 Sekunden, um zu beweisen, dass er es als Fotografiestudent ebenso drauf hat. Der Schauspieler war zu Gast an seiner Universität und im letzten Teil von “Haben Sie noch Fragen?” fragt der junge Andy Gotts, ob er ihn porträtieren darf. Seitdem hat seine Fotokunst Fahrt aufgenommen, wie er uns berichtet: “In den drei Jahrzehnten, in denen ich fotografiere, hat sich das 'Gerangel' mit Prominenten stark verändert. Im Jahr 1990, da war ich 19 Jahre, hatte ich meine allererste Begegnung mit dem Schauspieler Stephen Fry, der meine Aufnahmen von ihm liebte. Eines der Bilder gefiel ihm besonders und er bat mich einen Abzug zu machen. Dieses Foto hängte er stolz in seinem Haus auf und am folgenden Wochenende kam ein Freund zum Sonntagsessen vorbei. Dieser fragte nach dem Fotografen und war interessiert, da er ebenfalls ein Porträt brauchte. Zu meinem Glück handelte es sich hierbei um den britischen Schauspieler Kenneth Branagh, der mich anschließend bat auch ein Foto von ihm und seiner damaligen Frau zu machen, der ebenfalls sehr erfolgreichen Schauspielerin Emma Thompson. Diesen Auftrag ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Von da an sprach es sich in der Schauspielszene herum. Heute haben sich die Dinge geändert und die Schauspieler kommen zu mir.“


Der Name Andy Gotts ist heute aus der Hollywood-Welt nicht mehr wegzudenken. Er ist einer der gefragtesten Promi-Fotografen und viele kommen extra zu ihm nach London. „Ich mag es nicht, in traditionellen Fotostudios zu fotografieren, da sie zu düster und klinisch sind. Als Studio nutze ich ein wunderschönes Hotel in London, das Flemings, und das schon seit 8 Jahren. Manchmal reise ich auch zu den Stars nach Hause, wenn sie das wünschen. Die Schauspieler mögen meine Art, und ich glaube, das ist ein Grund dafür, dass sie mich in ihre Herzen aufnehmen. Es ist eine intime Erfahrung, fast wie ein Tanz. Ich bin auch der einzige Promi-Fotograf, der die endgültigen Bilder nicht bearbeitet. Das macht meine Porträts so besonders.”
Andy erzählt mir, dass er wirklich gar keine Retusche macht. Er lässt jede Falte, jedes Muttermal und jedes Hautmerkmal genau so, wie es seine Kamera erfasst. So kennen wir die Sternchen eigentlich nicht. Das Internet und die Magazine leben davon, alles glattzubügeln. Ein Phänomen so weit verbreitet und für viele enorm wichtig, dass selbst jedes Handyfoto und -video mit dem passenden Filter versehen und bearbeitet wird. Schließlich darf niemand müde Augen oder Hautunreinheiten sehen.
Als er die Schauspielerin Scarlett Johansson vor seiner Linse hatte und einen kleinen Pickel in ihrem Gesicht bemerkte, fragte er sie, ob sie vielleicht an einem anderen Tag shooten möchte. Er warnte sie, dass er keine Bildbearbeitung durchführen würde. Sie amüsierte sich darüber und meinte, sie sei genau aus diesem Grund bei ihm. Sie will sich real zeigen. Sie will authentisch porträtiert werden und wenn da mal ein Pickel im Gesicht ist…was soll's? Dann ist das so. Ist das nicht bei jeden Menschen so?

Es sind zwar Aufnahmen von berühmten Menschen, die ihre Berufe als Schauspieler, Musiker, Model & Co. als ihr Erscheinungsbild für die Welt aufgebaut haben. Doch der Fotograf zeigt nicht dieses Bild. Er zeigt die Person, er fokussiert auf den Menschen. Sein Beruf, sein Status und was die Person trägt, verschwindet und wird unwichtig. Andys Kunst und sein Talent sind genau der Moment, in dem er abdrückt und die Aufnahme erfasst, da es kein Nachpolieren gibt. Er schenkt jeder Person, die er fotografiert, einen Moment der Freiheit. Sie dürfen genau die Person sein, die sie sind. Es ist erlaubt verrückt zu sein, die Zunge rauszustrecken, die Augen zu verdrehen, laut zu schreien, die Haare durchzuschütteln und sich schlapp zulachen. Diese Gelassenheit bringt den Humor in seine Fotos.
Die Haltung und die Praxis des Authentizität schenkendem Fotografen bringt selbst wieder eine Art von Humor mit sich. Er macht sich in gewisser Weise lustig über die Kultur des „perfekten Porträts”, indem er seinen analogen Stil durchzieht. Alles ohne den in der Schönheitswelt üblichen Perfektionismus. Seine Bilder sind vermutlich die wahren „perfekten Porträts“, die der Realität viel näher sind. Andys Arbeiten schafften es ebenfalls in viele Magazine und wurden auf zahlreichen Titelseiten groß gefeiert. Sie sind ehrlich. Die Erfahrung eines Fotoshootings mit Andy beschreiben die Stars als spaßig, lustig und sehr unterhaltsam. Und gleichzeitig sehr kurzlebig. Oder fühlte sich das vielleicht nur so kurz an, weil die Zeit schneller verfliegt, wenn man Spaß hat?